|
Thomas Trinkl entwirft in seiner Kunst keine neuen Lebensformen oder Theorien, sondern er macht es sich zur Aufgabe, die Grenzen unseres Selbst- und Weltverständnisses aufzuzeigen. Er präsentiert Objekte und Bilder, die uns mit ihrer massiven physischen Präsenz bedrängen, ohne dass wir erklären könnten, woher genau dieses Gefühl der Überwältigung eigentlich rührt. Oft werden wir mit düsteren Motiven konfrontiert, die uns in eine Atmosphäre des Krieges, der Attentate, der Gewalt versetzen. Immer sind seine Werke rätselhaft: Man kann nicht sagen, was man eigentlich sieht, weil vertraute, alltägliche Maßstäbe und Funktionen hier offenbar außer Kraft gesetzt sind. Sie bedrängen uns und entziehen sich zugleich dem diskursiven Begreifen. Hier ist eine Macht am Werk, die stärker ist als wir.
Damit stellt Trinkl sich mit seinen Werken in die Tradition einer Kunst der Erhabenheit. Allerdings spielt der vor allem von Kant und seinen Nachfolgern in diesem Zusammenhang in den Blick genommene Aspekt, dass wir uns nämlich angesichts der Erfahrung unserer eigenen physischen Endlichkeit „als Naturwesen“ unserer „Überlegenheit über die Natur“ als geistige, freie Wesen bewusst werden , keine Rolle. Genauer: Trinkl unterzieht mit Richard Rorty, auf den er sich immer wieder beruft, die vor allem für die Neuzeit charakteristische Grundvorstellung einer Überlegenheit der menschlichen Vernunft über alle anderen Weisen der Erfahrung und Selbstverständigung einer Fundamentalkritik. Dieser traditionellen Vorstellung nach ist Erkenntnis die Widerspiegelung der uns vorliegenden Wirklichkeit im Geist, das Bewusstsein ist – so der Titel von Rortys Hauptwerk – der Spiegel der Natur. Voraussetzung dieser Annahme ist die Trennung von Geist und Körper, Innen und Außen. Erkenntnis ist demnach umso vollkommener, je besser der Spiegel poliert ist, d.h. je weniger der Spiegel des Geistes vom Gespiegelten der Natur zu unterscheiden ist. Dabei erweist sich die menschliche ‚Überlegenheit über die Natur‘ in erkenntnistheoretischer Hinsicht darin, dass – so das gemeinsame Ziel dieser Denktradition – die Natur mit rationalen Mitteln immer vollkommener als Ganze erschlossen und so dem Geist verfügbar gemacht wird. Gegen diese Vorstellung einer a priori vorliegenden Wirklichkeit und die Aufgabe, diese rational als eine Wahrheit zu erfassen, stellt nun Rorty die relativistische Vorstellung der Wirklichkeit als dem variablen Ergebnis immer neuer Beschreibungen, an denen neben der Philosophie und den Naturwissenschaften maßgeblich auch die Kunst beteilig ist. Denn gerade künstlerische Beschreibungen der Welt überwinden als ästhetische Gestaltungen das traditionelle Vorurteil eines Dualismus von Körper und Geist und erproben als kreative, ‚nichtnormale‘ Diskurse die potentielle Unendlichkeit der Beschreibungsmöglichkeiten der Welt.
Reflektierende, ‚spiegelnde‘ Materialien wie Glas, Karbonfaser, Aluminium oder Isolierfolie spielen auch in Trinkls Kunst eine zentrale Rolle. Auch hier spiegeln sie nicht die Wirklichkeit, sondern bilden Ansichten von Dingen, die unmittelbar auf uns wirken und Deutungen provozieren, die nichts über die Dinge, aber viel über unsere Ängste und Phantasien aussagen.
Dem ursprünglichen Plan gemäß hatte Trinkl vor, bei der Kölner Schau im unbehaglichen Ambiente des Kellerraums giftige Pflanzen wie Eibe, Tollkirsche oder Eisenhut auf Spiegeln oder hinter Glas auszustellen, deren Gefahrenpotential umso tückischer wirkt, als wir es nicht sehen können. Dieses Vorhaben wurde inzwischen verworfen. An seiner Stelle präsentiert Trinkl nun zwei Videos: Eines – Total Trash (für Kepler) – zeigt eine rotierende sechseckige Trommel, in die regelmäßig von oben Metallspäne eingeworfen werden, die über kurz oder lang – das Video dauert rund 40 Minuten – vorne wieder herausfallen. Was ist das für eine Maschine? Die Frage nach dem Sinn dieser Vorgänge ist unabweisbar. Aber trotz der Beständigkeit, mit der die Maschine ihre Tätigkeit – begleitet von einem monotonen technischen Sound – ausübt, entbehrt sie offenbar jeder erkennbaren Teleologie, es ist völlig unverständlich, welchem Zweck so viel Beharrlichkeit eigentlich dienen soll. Nur so viel intuitiv klar: nichts Gutem. Unwillkürlich assoziiert man leblose Körper, die von einer numinosen Macht herumgewälzt werden. Hier geht es nicht um künstlerische Detailbeobachtungen und Einzelanalysen, sondern ums große Ganze. Diese Maschine bedarf nicht des Menschen, sondern sie folgt ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Die Widmung an Kepler bestätigt die Assoziation eines autonomen Systems: In diesem Kosmos zählen nicht individuelle Schicksale, sondern abstrakte Kräfte, die das System in Gang halten.
Weniger düster, aber nicht weniger geheimnisvoll ist auch das zweite Video Parabola: Hier läuft eine große parabolische Linse aus transparentem Glas auf ihrer gewölbten Seite schlingernd und kippelnd über einen weißen Untergrund. Eine Hand führt die rotierende Linse über den Boden, die andere hält die Kamera. Auch hier drängt sich wiederum – wie bei allen Arbeiten Trinkls – die Frage auf, was da eigentlich passiert, ob gleich etwas passiert. Immerhin dauert dieses Video ebenfalls rund 40 Minuten. Wem gehört die Hand? Eine Linse ist ebenso wie eine Kamera ein optisches Gerät – vielleicht also nochmals eine Reminiszenz an Kepler? Aber wenn es gilt, klar zu sehen, warum wird dann hier an zentraler Stelle eine Hand tätig und kein Auge? Wir sehen nicht klar, sondern gleich zweifach gebrochen – durch die gefilmte Linse und die Linse der filmenden Kamera. Beide sind auch hier das Spielzeug einer numinosen gesichtslosen Macht, die unserer nicht bedarf. Wir werden Zeugen eines mysteriösen Zeitvertreibs, der uns in seiner Beharrlichkeit Fragen aufgibt, aber jede Deutung mit der nächsten Handbewegung gleich wieder wegzuwischen scheint.
Bei aller physischen Präsenz bleiben Trinkls Objekte in ihrer Dysfunktionalität immer als Dinge abwesend. Sie schließen sich entweder hermetisch nach außen ab oder sie stehen im Zeichen des Verschwindens oder Selbstauflösung. Die Polarität, mit der Trinkl operiert, ist daher die von Endlichkeit und Unendlichkeit. Er führt uns nicht unsere ‚Überlegenheit‘ als rationale Wesen vor Augen, sondern unsere gemeinsame existentielle Disposition als vergängliche, empfindende Menschen mit unstillbarem Deutungsbedürfnis.
|